Eine umfangreiche Studie des DDZ hat den Anstieg des Typ-1 und Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in den Vereinigten Staaten untersucht. Die Ergebnisse zeugen nicht nur von ansteigenden Zahlen, sondern auch Unterschieden in den Bevölkerungsgruppen. Wie kann Amerika hier gegensteuern und wie sieht die US-Gesellschaft aus, wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt?
Düsseldorf (DDZ) – In einer groß angelegten Erhebung, der SEARCH-Studie, wurde unter Federführung von Dr. PH Thaddäus Tönnies, Institut für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabetes-Zentrum, untersucht, wie viele Kinder und Jugendliche in den USA im Jahr 2060 an Diabetes erkrankt sein könnten. Diese Untersuchung ist Teil einer langjährigen Kooperation zwischen WissenschaftlerInnen des Deutschen Diabetes-Zentrums und des renommierten Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA. Basierend auf einem mathematischen Modell wurde die Prävalenz (Anteil der Erkrankten an der Bevölkerung) des Typ-1 und Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen im Alter unter 20 Jahren im Jahr 2060 prognostiziert. In der Vergangenheit war bei Kindern und Jugendlichen ein Typ-2-Diabetes eine Seltenheit und ein Großteil der Erkrankungen war noch dem Typ-1-Diabetes zuzuordnen. Typ-2-Diabetes hingegen ist die häufigste Form im Erwachsenenalter und tritt zum Beispiel infolge einer ungesunden Ernährung, mangelnder Bewegung und Adipositas (Übergewicht), aber auch genetischer Faktoren auf.
Anhand der Daten aus der SEARCH-Studie konnte jedoch nun gezeigt werden, dass insbesondere die Inzidenz (Anzahl Neuerkrankungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums – beispielsweise innerhalb eines Jahres) des Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen in den USA in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. So wuchs zwischen 2002 und 2015 die Inzidenz von Typ-1-Diabetes im Schnitt um fast 2 Prozent pro Jahr – bei Typ-2-Diabetes sogar um fast 5 Prozent. Zudem zeigen die Daten, dass im Jahr 2017 in den USA über 180.000 Jugendliche und Kinder an Typ-1-Diabetes und knapp 30.000 Jugendliche und Kinder an Typ-2-Diabetes erkrankt waren. Eine weitere Beobachtung zeigt zudem, dass sich die zeitlichen Trends in der Inzidenz nach ethnischer Zugehörigkeit und Abstammung unterscheiden. So weist die amerikanische Jugend mit weißer Hautfarbe einen deutlich geringeren Anstieg auf als beispielsweise dieselbe Altersgruppe bei Afroamerikanern, Hispanics, Asiaten oder den Ureinwohnern – insbesondere, was den Typ-2-Diabetes betrifft. Die Frage lautet: Wie viele Kinder und Jugendliche werden in Zukunft an Diabetes erkrankt sein, wenn sich diese Entwicklung fortsetzt?
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Zahlen wurde dieser Frage nachgegangen und die mögliche Situation im Jahre 2060 mit Hilfe eines mathematischen Modells untersucht. Demnach würde die Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zum Jahr 2017 um 60 Prozent zunehmen – bei Typ-2-Diabetes sogar um 600 Prozent. Ausgehend von dieser Projektion gäbe es in den USA im Jahre 2060 fast 500.000 Kinder und Jugendliche, die von Diabetes betroffen wären. Dabei wären fast genauso viele Kinder und Jugendliche von Typ-2-Diabetes betroffen, wie von Typ-1-Diabetes. Eine weitere Facette dieser Zukunftsperspektive demonstriert, dass sich die ethnischen Disparitäten in der Diabetesprävalenz erheblich vergrößern werden. So wäre im Jahre 2060 die Wahrscheinlichkeit an Typ-2-Diabetes erkrankt zu sein bei afroamerikanischen Jugendlichen 30- bis 40-mal höher als bei weißen Teenagern, wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen. „Wenn unsere Prognosen zutreffen, ist mit einem steigenden Bedarf an pädiatrischen Diabetes-Spezialisten, medizinischen Geräten und Programmen zur Optimierung der Blutglukosekontrolle und Vermeidung von Komplikationen zu rechnen“, erklärt Dr. Tönnies und fährt fort. „Dies wird zu steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung führen, was bedeutet, dass entsprechende Ressourcen in absehbarer Zeit eingeplant werden sollten.“
Noch ist dies nur ein mögliches Szenario für die Zukunft, welches nicht zwangsläufig eintreten muss. Doch ohne Interventionen wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit ansteigen. „Daraus können wir ableiten, dass die erste Priorität darin bestehen sollte, so schnell wie möglich effektive präventive Interventionen zu implementieren. In diesem Zusammenhang könnten verstärkte Bemühungen um einen gesunden Lebensstil – der auf mehr körperliche Aktivität und gesunde Ernährung abzielt – eine Option sein“, so Dr. Tönnies. „Diese könnten sich an die Allgemeinbevölkerung, aber auch an sogenannte Hochrisikogruppen richten. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass umfassende Strategien auf Bevölkerungsebene, die die sozialen Determinanten von Diabetes berücksichtigen, erforderlich sind, um die Richtung der zukünftigen Trends bedeutsam zu ändern.“ Die Studie wurde bereits auf der Tagung der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft (American Diabetes Association) vorgestellt und dort zu einem Highlight gekürt. In diesem Zusammenhang wurde ein Interview mit Dr. Tönnies durchgeführt.
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