20 Jahre Karl Landsteiner Gesellschaft: ein ganz besonderer Festakt

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Anfang November war die medizinische Community zu Gast bei der Karl Landsteiner Gesellschaft (KLG). Im Van Swieten Saal der MedUni Wien blickte man gemeinsam auf die letzten beiden Jahrzehnte der KLG zurück. 2004 ist der außeruniversitäre medizinische Forschungsverein mit nur drei Instituten gegründet worden, heute steht er bei 69. Tendenz weiterhin steigend. Ein Blick auf die bescheidenen Anfänge lässt die Leistung erahnen, die in den letzten 20 Jahren passiert ist. Zahlreiche Publikationen unter dem Dach der KLG, viele auch in Top-Journals, zeugen davon, ebenso wie einige spektakuläre internationale Karrieren, die von hier ihren Ausgang genommen haben. Die Festvorträge boten einen Querschnitt durch die zahlreichen Themenfelder, an denen die Karl Landsteiner Institute heute arbeiten. Eine Zusammenschau.

„Die Karl Landsteiner Gesellschaft ist ein Evergreen in der österreichischen biomedizinischen Szene“, hielt Univ.-Prof. Dr. Markus Müller von der MedUni Wien gleich zu Beginn in seiner Laudatio fest. „Und sie hat internationale Strahlkraft“. Zu verdanken hätte sie das vor allem drei Personen: Univ.-Prof. Dr. Georg Salem, HR Prof. Dr. Robert Fischer und MR Dr. Gerhard Weintögl.

Mit wenigen Mitteln Großes erreichen

Weintögl, erster Präsident der KLG, nahm die Zuhörer:innen in seiner Ansprache daher mit auf eine Reise in die Zeit der Gründung. Damals fand in der renommierten Ludwig Boltzmann Gesellschaft ein Umbruch statt: Kleine Institute wurden gebeten auszuscheiden oder sich zu Clustern zusammenzufinden. Das Ergebnis war, dass einige Institute heimatlos wurden. Dies veranlasste Fischer und Salem recht rasch dazu, eine eigene Gesellschaft zu gründen. Weintögl nannte einen weiteren, sehr persönlichen Grund, sich in der neu gegründeten KLG zu engagieren: „Als Allgemeinmediziner mit jahrzehntelanger Erfahrung habe ich festgestellt, dass in diesem Fachgebiet fast nie wissenschaftlich gearbeitet wurde. Das wollte ich ändern.“

Der Gründung mit nur drei Instituten folgte ein rasches Wachstum. Zu Beginn noch mit geringen finanziellen Mitteln, weswegen Weintögl so manche Ausgabe aus seiner Privatschatulle vorstrecken musste. Doch der Namensgeber der Gesellschaft – im Übrigen ein Niederösterreicher, der es zum Nobelpreis gebracht hat – hatte es bereits vorgemacht: Es ging darum, mit kleinen Mitteln Großes zu erreichen. Gemäß diesem Motto arbeitet die KLG noch heute: mit einer kleinen Struktur, einer einfachen Verwaltung und erfolgreich in der Wissenschaft.

Das Ende der Diabetes-Pandemie?

Wie erfolgreich in der KLG gearbeitet wird, lässt sich unter anderem am Lebenslauf des Keynote-Speakers der Festveranstaltung ablesen. Univ.-Prof. Dr. Michael Roden, ursprünglich Leiter des Karl Landsteiner Instituts für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten ist heute Direktor der Univ. Klinik für Endokrinologie und Diabetologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie CEO des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) und einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung. Wie wichtig die Forschung gerade hier ist, machte er gleich am Anfang an einigen Zahlen fest: Pro Jahr wird weltweit eine Billiarde Dollar zur Bekämpfung der Zuckerkrankheit ausgegeben, eine halbe Milliarde Menschen ist von dieser Erkrankung betroffen. In den nächsten Jahren erwartet Roden eine weitere Zunahme an Menschen mit Diabetes, vor allem in Asien und Afrika. „Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Adipositas“, betonte Roden. „Derzeit ist etwa eine Milliarde Menschen adipös, jede:r Zweite ist übergewichtig.“ Seine Erklärung dafür ist so einfach wie logisch: „Wir nehmen zu viel zu uns und sorgen nicht ausreichend dafür, dass Energie verbrannt wird. Daher wird sie dort gespeichert, wo sie nicht hingehört.“

Im Bereich Diabetes und Fettleber forscht Roden heute genau wie damals – als er im Keller des Wiener Hanusch Spitals sein Karl Landsteiner Institut aufbaute – intensiv, unter anderem mithilfe der Magnetresonanzspektroskopie. Diese ermöglicht unter anderem durch exakte Messung der Zuckeraufnahme und -speicherung im Muskel die Bestimmung der Insulinsensitivität. Ein anderes Forschungsthema ist der Energiestoffwechsel der Leber-Mitochondrien und sein Zusammenhang mit Adipositas und Diabetes. Ganz besonders relevant sei die Fettlebererkrankung, so Roden, sie betrifft 65 % der Menschen mit Diabetes und bedeutet zudem ein 30-60 % erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall der Betroffenen.

© Aslan Kudrnofsky

Diabetes sei übrigens nicht Diabetes, berichtete der Stoffwechselforscher. Mittlerweile könne man Typ-2-Diabetes bereits in vier Untergruppen bzw. Subtypen kategorisieren, die unterschiedliche Komplikationen mit sich bringen können und daher auch in Zukunft gezielt behandelt werden sollten. Wesentlich sei jedoch weiterhin die Gewichtsabnahme. Da Lebensstilmodifikation nur selten langfristig möglich ist, kommt heute den neuen Medikamenten eine große Bedeutung zu. GLP1-Rezeptorantagonisten (die „Abnehmspritze“) helfen dabei, große Mengen an Gewicht abzunehmen, allerdings nur solange sie gut vertragen und regelmäßig verabreicht werden. Ist mit den neuen Therapieformen also das Ende der Diabetes-Pandemie in Sicht? Rodens klare Antwort: „Noch nicht.“

Stoffwechselforschung auf Spitzenniveau

Ähnlich sieht das auch einer, der sieben Jahre lang den Schreibtisch mit Roden geteilt hat. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik ergänzte in seinem Vortag die Ausführungen seines Vorredners: „Eine Studie zeigt, dass es durch eine Gewichtsreduktion zu einer Normalisierung der Insulinsekretion im Pankreas kommen kann. Typ-2-Diabetes ist also nicht unumkehrbar, solange die Inselzellen nicht irreversibel gestört sind.“ Die neuen Medikamente würden dabei helfen, ganz besonders, wenn sie in Kombination verabreicht werden, wie das bei Tirzepatid der Fall sei. Zu diesem kürzlich zugelassenen Medikament hat das Karl Landsteiner Institut für Adipositas und Stoffwechselerkrankungen intensiv geforscht und publiziert. „Tirzepatid macht eine bisher nicht erreichte Gewichtsreduktion möglich, bis zu 50 % der behandelten Menschen mit Diabetes können dadurch eine normale Stoffwechseleinstellung erreichen“, berichtete Ludvik. „Man kann somit von einer ‚therapeutischen Remission‘ sprechen.“

Die zyklische Thrombopenie: selten oder vielleicht doch nicht?

Wie groß die Bandbreite der Karl Landsteiner Gesellschaft ist, zeigt der Sprung von der Diabetes-Pandemie zu einer Erkrankung, die bisher nur 70-mal dokumentiert ist: die zyklische Thrombopenie. „Im deutschen Sprachraum ist sie wenig bis gar nicht bekannt“, erzählt ao. Univ-Prof. i. R. Dr. med. Paul A. Kyrle vom Institut für klinische Thromboseforschung in seinem Vortrag. „Oft erhalten die Patient:innen fälschlicherweise die Diagnose ITP.“ Für die Diagnose müsse man alle ITP-spezifischen Therapien absetzen und die Thrombozyten regelmäßig kontrollieren, denn die zyklische Thrombopenie folge einem Rhythmus von 28 Tagen. Die Therapie ist meist denkbar einfach: am besten keine.

MR-Bildgebung bei Arthrose neu gedacht

Das Institut für klinische molekulare MR Bildgebung im Muskel-Skelettbereich unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Siegfried Trattnig beschäftigt sich wieder mit etwas völlig anderem: nämlich mit der Entwicklung von MR-Techniken, die Einblick in die Ultrastruktur von unterschiedlichen Geweben des Kniegelenkes geben sollen, insbesondere des Knorpels. Dies erlaubt sowohl eine Früherkennung von Knorpelschäden – noch bevor in der normalen MR-Bildgebung Veränderungen erkennbar sind – als auch eine Verlaufskontrolle von verschiedenen Knorpelersatztherapien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit im Aufbau eines normalen Knorpelgerüstes mit guter biomechanischer Funktion. Seine Begeisterung für dieses Themenfeld war auch bei seinem Vortrag spürbar. „Seit kurzem gibt es spannende Entwicklungen zu einer medikamentösen Arthrosetherapie. Unser Institut hat die Voraussetzungen geschaffen, um nicht nur fokale Knorpeldefekte zu beurteilen, sondern ein umfassendes Diagnosekonzept entwickelt, das den gesamten Kniegelenksknorpel in 21 Subfelder unterteilt. Dies hilft sowohl morphologisch als auch biochemisch zu quantifizieren, sodass die Wirksamkeit einer ‚Pille gegen die Arthrose‘ auch bei geringen Veränderungen in kurzer Zeit mittels Bildgebung ohne Belastung der/des Patient:in und mit hoher Reproduzierbarkeit gemessen werden kann“.

Maßgebend für europäische Leitlinien

Dass die Radiologie auch helfen kann, gynäkologische Blutungen zu stoppen, zeigte Prim. Univ.-Prof. Dr. Thomas Rand vom Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie in seinem Vortrag. Und dass man damit auch internationale Maßstäbe setzen kann, ebenso. Die CIRSE (Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe) hat ein Best-Practice-Dokument für die klinisch-praktische Anwendung solcher minimalinvasiven radiologisch interventionellen Eingriffe veröffentlicht. Abläufe, klinischer Hintergrund, Technik, Durchführung und Wahl der Materialien wurden unter der wissenschaftlichen Schirmherrschaft des Karl Landsteiner Instituts definiert.

Auch ein europäischer Konsensus entstand unter Mitwirkung eines Karl Landsteiner Instituts, nämlich jener zur Behandlung der primär kutanen Lymphome Mykosis fungoides (MF) und des Sézary Syndroms (SS). „Die größte Herausforderung dieser Erkrankungen ist ihre Seltenheit“, so OÄ Priv. Doz.in Dr.in Johanna Latzka vom Institut für dermatologische Forschung. Um eine stadiengerechte Therapie von MF und SS zu gewährleisten, publiziert die European Organisation of Research and Treatment of Cancer – Cutaneous Lymphoma Tumor Group seit 2006 Konsensus-Empfehlungen. Die bei der Jubiläumsveranstaltung präsentierte Arbeit stellt das neueste Update dieser Empfehlungen dar.

Fortschritte in der Krebsforschung

Dr.in Mahya Ahmadipour, BSc, ebenfalls Institut für dermatologische Forschung, berichtete über nicht melanozytären bzw. keratinozytärem Hautkrebs (KC) bei älteren multimorbiden Patient:innen. KC zählt weltweit zu den häufigsten, selten aber lebenslimitierenden Krebsarten mit steigender Inzidenz. Eine Operation ist in den meisten Fällen die Behandlung der Wahl. Ziel einer monozentrischen Studie war es, durch die retrospektive Untersuchung der Lebenserwartung herauszufinden, ob bei Patient:innen über 80 ein Risiko zur Überbehandlung besteht. „90 % der Studienteilnehmer:innen waren am Ende des Beobachtungszeitraums noch am Leben. Eine kurative Operation bleibt somit eine valide Behandlungsoption auch im hohen Lebensalter,“ so das Fazit. Dennoch sollte die Frage einer möglichen Überbehandlung in dieser vulnerablen Patientengruppe in weiteren Studien inkludiert und in entsprechenden Behandlungsrichtlinien berücksichtigt werden.

Prim. Priv.-Doz. Dr. Arschang Valipour, Leiter des Instituts für Lungenforschung und pneumologische Onkologie, sprach in seinem Vortrag über ein weiteres häufiges Karzinom: „Lungenkrebs ist durch hohe Fallzahlen, einer nach wie vor schlechten Prognose und späte Detektion gekennzeichnet.“ Etwa 60 % der Patient:innen würden erst in Stadium IV diagnostiziert. Ziel der nächsten Jahre sei daher ein Stage-Shift. Dabei hilft das 2020 ins Leben gerufene Lungenkrebsregister LALUCA (Longitudinal Analysis of Lung Cancer Data – An Austrian Research Platform). Es umfasst inzwischen Daten von rund 1.600 Fällen – das sind etwa 80 Prozent aller in Wien behandelten Lungenkrebspatient:innen. „Das Wissen um die klinische Charakteristik, die diagnostischen Prozesse, die Therapieansätze sowie -erfolge außerhalb von klinischen Studien liefert wesentliche Erkenntnisse für die Verbesserung der Versorgungsqualität“, so Valipour über das Ziel des „passioniertesten Projekts des Instituts“.

OÄ Priv. Doz.in Dr.in Sonia Vallet, Leiterin des Instituts für supportive Krebstherapie, beschrieb in ihrem Vortrag, warum die Knochengesundheit bei Krebspatient:innen gefährdet ist und präsentierte neue Forschungsansätze. „Neben Knochenmetastasen erhöht bei einem Drittel der Krebspatient:innen auch Osteoporose, ausgelöst durch Kachexie- und Krebsbehandlungen, das Risiko für Knochenbrüche“, so Vallet. Es gelte daher, in der Onkologie auch an knochenschützende Therapien zu denken. „Ziel unserer Forschung ist die langfristige Erhaltung der Knochenstruktur. In unseren aktuellen Projekten untersuchen wir die Effekte von Immun-Checkpoint-Inhibitoren auf den Knochenumbau und konnten erste positive Wirkungen nachweisen.“

Mit Public Health in Bewegung

Weitere zwei wissenschaftliche Vorträge beleuchteten den positiven Einfluss von Bewegung auf die Gesundheit. Im ersten Projekt stand die Abmilderung der negativen Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit älterer Menschen im Fokus. „Im Rahmen des KliMate-Projektes geht es darum, mithilfe digitaler Lösungen klimabezogene Gesundheitskompetenzen zu vermitteln und körperliche Aktivität zu fördern“, erklärte Ass. Prof.in Mag.a Dr.in K. Viktoria Stein, stellvertretende Institutsleiterin des Instituts für Gesundheitsförderungsforschung. „Zusätzlich soll die soziale Teilhabe gesteigert werden – beides wirkt den psychischen und physischen Folgen des Klimawandels entgegen.“ Im nächsten Jahr werden konkrete Empfehlungen entwickelt, wie man ältere Menschen informieren, einbinden und vernetzen kann, um sie resilienter gegenüber dem Klimawandel zu machen.

Das zweite Projekt beschäftigt sich mit den Effekten von Bewegung und Fitness auf Menschen mit Rheumatischer Arthritis (RA). Gemeinsam mit dem Institut für Autoimmunerkrankungen und Rheumatologie sowie dem Institut für Remobilisation und funktionale Gesundheit konnte in einer Querschnittsstudie gezeigt werden, dass „Häufigkeit und Intensität der körperlichen Aktivität signifikant mit der Arbeitsfähigkeit, der Schlafqualität und der Qualität des Sexuallebens verbunden war“, so Institutsleiter Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas E. Dorner, MPH.

Am Ende des Festaktes kommt der der seit 2010 amtierende Präsident der KLG, Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, wieder auf den Anfang zurück. „Es hat immer großen Wandel gegeben und wird ihn immer geben. Die Karl Landsteiner Gesellschaft wird up to date bleiben und die Flamme weitertragen. Unsere Motivation ist hoch, gemeinsam werden wir den eingeschlagenen Weg weitergehen.“

Mehr Information über die Karl Landsteiner Gesellschaft finden Sie in der Festschrift

Impressionen der Festveranstaltung gibt‘s in der Bildergalerie

Beides auf www.karl-landsteiner.at

Über die Karl Landsteiner Gesellschaft

Die Karl Landsteiner Gesellschaft ist eine unabhängige Forschungsinstitution und als gemeinnütziger Verein organisiert. Ihre Ziele seit Gründung im Jahr 2004 sind, die medizinisch-wissenschaftliche Forschung zu fördern, interdisziplinäres Arbeiten voranzutreiben und den Wissenstransfer zwischen den Fachgruppen zu unterstützen. Die Gesellschaft vereint derzeit 69 Institute unter ihrem Dach, die nahezu sämtliche Teilgebiete der Medizin abdecken und eigenständig arbeiten. Alle Institute werden berufsbegleitend und mit hohem Praxisbezug von namhaften Persönlichkeiten geleitet. Eine begleitende Evaluierung sichert bei allen Forschungsprojekten einen hohen Qualitätsstandard. Mehr auf www.karl-landsteiner.at.


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